Offener Brief an Jakob Augstein

Christel HAHN - 19/02/2014

"Fuck the EU", schimpft eine US-Diplomatin - weil die Amis Europa nicht mehr verstehen. Dabei beginnt hier nach der Euro-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine wegweisende Debatte: Wer hat die Macht, Banker oder Bürger? (Kolumne von Jakob Augstein, Spiegel 10.02.2014)



Normalerweise sind offene Briefe ein Mittel der politischen Kriegsführung, ich möchte ihn ihr als Mittel zur Förderung einer Europäischen Debattenkultur verwenden.

Ihre Kolumne bei SPON wird deshalb in Deutschland von vielen geschätzt, weil sie eine der wenigen der Aufklärung verpflichteten Stimmen in der gleichgeschalteten deutschen Medienlandschaft sind.
Diese gleichgeschaltete Medienlandschaft ist vermutlich ein vom Aussterben bedrohter Dinosaurier, doch das Bewusstsein für das Sterben der Welt von Gestern sollte uns nicht dazu verleiten, die Hände in den Schoss zu legen, da sich diese Welt von Gestern nicht friedlich und in Akzeptanz verabschiedet, ganz im Gegenteil. Dies ist der Antrieb für uns, unsere Stimme zu erheben und zur politischen Aktion zu schreiten.

In Ihrem letzten Beitrag „Jetzt geht es um die Macht in Europa“ beleuchten Sie Fragen, die eigentlich die Kernthemen der öffentlichen Debatte sein sollten, es aber nicht sind, da die diversen Interessengruppen, die am Machtspiel um Europa beteiligt sind, es erfolgreich schaffen, ihre Nebelkerzen auszuwerfen. Statt über die Verantwortlichkeit von Ex-Landwirtschaftsminister Friedrich für die deutsche Gen-Mais-“Enthaltung“ zu diskutieren, wird jetzt über seine Handlungen als Innenminister der letzten Regierung debattiert, auch ein wichtiges Thema, doch es führt dazu, dass das hochbrisante Thema „Monsanto und die Macht in Europa“ aus den Schlagzeilen verdrängt wird.

Wenn es derzeit eine öffentliche Debatte über Europäische Fragen gibt, wie jetzt im Wahlkampf um die Sitze im Europaparlament, dann wird sie bestimmt von Stimmen die die Extrempole ausdrücken: Alle etablierten Parteien (von der CSU bis zu den Grünen, weniger ausgeprägt die Linke) variieren ihr Mantra „Weiter so“ und versuchen sich, im Kampf um Europa zu positionieren. Auf der anderen Seite thematisieren die Stimmen der Zivilgesellschaft (wie z.B. die Umweltverbände) ihre Kritik des Molochs Brüssel und implizieren damit als einzige Lösung die Zuflucht in nationalstaatlichen Strukturen. Doch da die europäischen Nationalstaaten für viele Fragen nicht mehr zuständig sind (und es auch wie die Gen-Mais-Frage zeigt, gar nicht sein können) dient ein Angriff auf europäische Strukturen, wenn er keine echte politische Alternative unterstützt, denen die ein politisches Vakuum ausnützen können und wollen. Warum es also in dieser öffentlichen Debatte um den Machtkampf in Europa besser ist „mittlere“, „euro-reformerische“ Positionen einzunehmen, wie Sie es in Ihrem Beitrag tun, ist keine moralische Frage, sondern ergibt sich aus der politischen Analyse.

Ziel meines „Offenen Briefes“ ist es also einerseits, Ihnen in diesem Ansatz zuzustimmen, andererseits Ihnen und der Öffentlichkeit zu zeigen, dass dieser „euro-reformerische“ Ansatz schon viel weiter entwickelt ist, als Sie es sehen. Ich freue mich also über ihren Beitrag, aber es macht mich traurig, dass Ihr Horizont bei Prof. Habermas endet, dessen Positionen zwar wichtig, aber doch eher professoral und politisch nicht besonders originell sind.

Ich arbeite als Koordinatorin der „Association des Amis de Franck Biancheri“, einer Organisation, die dem Lebenswerk von Franck Biancheri gewidmet ist. Franck Biancheri war einer der herausragendsten Europäischen Denker der letzten Jahrzehnte und seine Qualität lag darin, dass er scharfsinnige politische Analyse einer innovativen Methodik („politische Antizipation“) mit einem praktischen Verständnis von politischer Dynamik verbunden hat. Er gewann seine Einsichten, als er als Berufsanfänger für den Europäischen Rechnungshof in Luxemburg arbeitet, er lernte die politischen Akteure kennen, als er 1987 dem Präsidenten Mitterand unverblümt sagte, dass dieser keine Ahnung hätte, und damit das ERASMUS-Programm erst möglich machte, und er entwickelte seine Methode der politischen Antizipation dadurch, dass er die Finanz- und Wirtschaftskrise vorhersah und analysierte. Sein letztes Buch trägt den Titel „Nach der Krise,  Auf dem Weg in die Welt von Morgen, Europa und die Welt im Jahrzehnt 2010-2020 “ und es gibt einen wichtigen Rahmen für die notwendige Europäische politische Debatte.

In seinen letzten Lebensjahren hat er sich darauf konzentriert, das Thema „Euroland Governance“ zu entwickeln und praktische Vorschläge zur Umsetzung zu machen. Dahinter steckt die Analyse, dass die derzeitige EU (mit ihrem Brüsseler Zentralismus, ihrer ausschließlichen Ausrichtung auf die Errichtung eines riesigen Markes und ihrer geopolitisch ausgerichteten Erweiterungsstrategie) ein Produkt der Welt von Gestern ist und dass diese Welt von Gestern eine solche ist, auch wenn es derzeit so aussieht, als würde sie versuchen alles in ihren Untergang mitzureißen. „Euroland Governance“ ist eine Stimme  gegen Fatalismus und politische Lähmung. Wenn wir einerseits bedenken, welches reiche Erbe Europa hat, wenn wir uns vor Augen halten, was es alles schon hervorgebracht hat und wenn wir andererseits überall sehen, wie einfache Bürger mehr Sachverstand entwickeln als die bezahlten Volksvertreter, dann sollten wir uns andererseits auch vorstellen können, dass die Europäer eine neue, dem 21.Jahrhundert angemessene Form der „Governance“ entwickeln können. Für dieses politische Projekt prägte Franck Biancheri den Begriff Euroland, um damit einerseits darauf hinzuweisen, dass es sich um einen politischen Raum handelt, der sich von der Dominanz der Londoner City gelöst hat, und anderseits aufzuzeigen, dass so ein Projekt nicht utopistisch ist, da es nicht bei Null anfängt, sondern den real existierende Strukturen, nämlich den in den letzten Jahren entstandenen Eurozonen-Strukturen ansetzt. Ein solches Projekt ist von immenser Wichtigkeit für unsere Zukunft und es sollte den Sachverstand aller mobilisieren, der Umweltaktivisten, der Verwalter, der Unternehmer, der Lehrer, der Gesundheitsarbeiter, der Wissenschaftler, .. (und auch der Ökonomie-Professoren, die sich derzeit in der AfD organisieren).

Und damit schliesst sich der Kreis und ich möchte zu Ihrem Beitrag zurückkommen:
Es wurden in den letzten Jahren wichtige politische Entscheidungen für die Europäer getroffen, doch diese wurden extrem undemokratisch getroffen und haben die wichtigste Europäische Ressource, die Intelligenz seiner Bürger, ignoriert. Um dies zu ändern, brauchen wir die Europäische politische Debatte (wie sie Franck Biancheri z.B. durch die von ihm entwickelten „Democracy Marathons“ gefördert hat), doch diese Europäische Debatte fängt bei Beitragen, wie dem Ihren erst an. Es gibt viel zu tun! 


 Christel Hahn

 für Newropeans-Magazine
 Koordinatorin Association des Amis de Franck Biancheri (AAFB)

 
 



Mehr:
- Jakob Augstein: Jetzt geht es um die Macht in Europa - Spiegel 10.02.2014
- Franck Biancheri: Euroland 2012 bis 2016: Entstehung einer neuen globalen Macht – wenn ihre Demokratisierung gelingt  (Février 2012 - 3 Teile) Leap2020
- Franck Biancheri Webseite: www.franck-biancheri.eu
- Das Buch: „Nach der Krise,  Auf dem Weg in die Welt von Morgen, Europa und die Welt im Jahrzehnt 2010-2020 “  (Anticipolis Verlag)